Was wäre wenn ?
Eine fiktive Fortsetzung unserer
Aktion
Vor einiger Zeit habe ich mir einmal
vorgestellt, wie sich unsere Strich-Aktion
weiterentwickelt haben könnte,
wenn ich durch günstigere Umstände nicht verhaftet worden wäre.
Als erstes hätten wir ganz sicher einem neuerlichen Übergriffs-Versuch
der Grepos vorbeugen müssen, z.B. in der Weise, daß einer der
Akteure immer die be-
vorstehende Strecke vorher von eindeutig
Westberliner Gebiet aus auf Mauertürchen untersucht und dabei auch
sonstige Zugriffsmöglichkeiten ins Visier nimmt wie z.B. auf
Westberliner Gebiet versteckt auf uns wartende Grepos, wie es dann ja
die Konstellation vor meiner Festnahme gewesen ist. Letztlich kommt
es dann meist ohnehin immer anders als man denkt, wie mein Fall gezeigt
hat, bei dem mir die Auf-
merksamkeit gegenüber vorhandenen
Mauertürchen nichts genützt hatte.
Wie auch immer die Aktion sicherheitstechnisch
weiter realisiert worden wäre, was wäre wohl sonst noch passiert?
Hätte es mehr Reaktionen von Passanten gegeben als bisher. Hätte
man vielleicht einen als Passanten getarnten Stasi-Spitzel auf uns angesetzt,
der sich positiv interessiert zeigt, während sein verstecktes Aufnahme-
gerät uns in den Momenten,
in denen wir ohne Maske malen, filmt.
Wären die Medien aufmerksam
auf uns geworden und hätten es einer öffentlichen Thematisierung
für wert befunden. Wenn ja, wie hätten wir darauf reagiert? Ähnlich
wie im Falle der BZ: Verweigernd, aber das wiederum nicht vollständig,
denn Thomas Onißeit hatte sich ja darauf eingelassen. Hätte
es nach einer eventuellen Mediatiserung dann tatkräftige Unterstützer
aus der Bevölkerung, vielleicht auch Provokateure in unsere Richtung
oder Agent Provokateurs des MfS oder aggressiv werdende Apologeten
der Mauer ( z.B. aus den Kreisen der Sozialistischen Einheits-
partei Westberlins) gegeben.
Auch die vermutlich mitunter kuriosen
Zeltplätze für unseren nächtlichen Schlaf sich vorzustellen
beflügelte meine Phantasie. Wenn sonst nichts in der Nähe ist,
vielleicht hätten wir dann auf dem Grünbereich eines Kinderspielplatzes
gecampt, morgens um 8 dann, wenn die ersten Klein-Kids langsam lautstark
werden, zusammengepackt,ge-
frühstückt und weitergemalt.
Wie auch immer es weitergegangen
wäre, es bleibt eine Phantasie, denn unsere Aktion konnte so, wie
sie verlief, im Grunde perfekter nicht verlaufen.
Denn als Bewohner von Kreuzberg,
wo ja aufgrund der kunst- und streetart-affinen Subkultur die Mauer-Malereien
Anfang der 80er begonnen und inzwischen besonders zahlreich vertreten waren,
reichte es eigentlich völlig, nur dieses unser unmittelbares Lebensumfeld
mit dem Strich zu markieren, statt uns einem gesamtberlinerischen „Überregionalismus
„ verpflichtet zu fühlen, der unserer damals als völlig berechtigt
empfundenen Kreuzbergfixierung gar nicht angemessen gewesen wäre.
Der Strich konnte nur in Kreuzberg gezogen werden, dort, wo die Mauermalereien
einst begonnen hatten, dort wo sie nun am üppigsten sich zeigten und
dort, wo sich unsere gewählte Lebenswelt befand.
Zumem: Bei mitteleuropäischem
Novemberwetter zwei bis drei Wochen lang täglich zehn Stunden
lang einen weissen Strich zu ziehen war ja vielleicht nur die ersten Tage
eine die Motivation unbeeinträchtigende Vorstellung. Aber wie sah
es nach fünf, sechs oder sieben Tagen damit aus ? Außerdem wäre
die tatsächliche vollendete Umrundung der Mauer letztlich viel zu
real und ernst, was zumindest meiner und vielleicht auch der Haltung der
anderen zur äußeren Wirklichkeit nicht entsprach und entspricht.
Re-Realisierung ja, aber bitte nicht zu real.
Perfekt an der Aktion war zudem
auch meine Verhaftung, die dafür sorgte, daß die physische Grenzerfahrung
Mauer in eine physische Grenzerfahrung des für diese Mauer verantwortlichen
Gewaltapparats selbst führte (Grepo, Todestreifen, MfS, Gefängnis).
Denn die Mauer des realsozialistischen Regimes bestand ja nicht bloß
aus diesem mitten durch Berlin schneidenden Beton, sondern auch aus Gesetzen,
aus Bewusstseinen, Gefängnissen, dessen Gängen, Zellwänden,
Aussenmauern, mauernden Abwehrreaktionen und Polizeigesten. Meine Haftzeit
gehörte deshalb selbst noch zur Expedition an diese Grenze und war
eine unsere Aktion fortführende Erfahrungs-Reise in das Innere dieser
Grenze und den Apparat, der sie verwaltete. ( Nur daß es nun nicht
mehr die Westberliner Grenze war, die ich erfuhr)
Die Berliner Mauer war ja letztlich
nur der symbolischste, öffentlich sichtbarste und monumentalste Ausdruck
dieser grossen Mauer in den Gehirn-, Körper- und Haft-
zellen.
Und letztlich war diese unsere Mauerstrich-
Aktion auch in ihrer absurden Konsequenz perfekt: Wenn es schon Realität
wurde, daß man für das Ziehen eines Strichs , der die von den
Grenzposten als Schmierereien abqualifizierten Mauermalereien negierte
( also im Grunde auch im Sinne der DDR interpretierbar war) völlig
unverhältnismäs-
sigerweise 20 Monate Haftstrafe
bekommt, dann war es letztlich nur konsequent, daß diese Strafe auch
noch derjenige bekommen sollte, den sie am meisten treffen würde:
Meine Freundin war schwanger, ich hatte noch 18 Monate Reststrafe auf Bewährung
aus der DDR in die U-Haft mitgebracht, die später den 20 Monaten Strafe
noch hinzugerechnet wurden und zu guter letzt: ich hatte Monate vor meiner
Verhaftung brieflich die Heirat mit einer Ostberliner Frau beantragt, wobei
es sich dabei um eine Scheinhochzeit handelte, die wir nur begehen wollten,
damit diese Frau durch Familienzusammenführung mit ihrem Ehemann nach
Westberlin ausreisen kann. Und nun erfuhren die DDR-Behörden, daß
ich zugleich eine schwangere Freundin im Westen hatte. Sie sprachen mich
auch darauf an und ich unterrichtete sie daraufhin von meiner heftigen
Doppel-Liebe. Sie konnten mir das Gegenteil nicht beweisen, aber haben
ihren Verdacht sicher in der Höhe des späteren Urteils angemessen
untergebracht
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